Darf ich alles, was ich kann?


Novenber 2016 – Prof. Dr. Georg Barfuß spricht im G'sellnhaus über Nachhaltigkeit

p2 georg portrait 600Ressourcenknappheit, das stetige Wachstum der Weltbevölkerung und die gnadenlose Ausbeutung des Planeten - die Menschen haben an­gefangen zu begreifen, dass sie im bisherigen Maße nicht ewig weiter­machen können, ohne die Erde zu­grunde zu richten. Es ist Zeit für Nachhaltigkeit. Doch allzu oft macht sich Verzweiflung breit. Was soll der Einzelne schon ausrichten, wenn doch Wirtschaft und Lobbys als scheinbar übermächtige Gegner ge­genüberstehen? Wenn es nach Pro­fessor Dr. Georg Barfuß geht, kann Nachhaltigkeit nur von Einzelnen ausgehen. Es reicht laut Barfuß al­lerdings nicht, wie bisher weiterzu­machen, zu recyceln, E-Autos zu nutzen oder effiziente Haushaltsge­räte zu kaufen. Das machte der Hochschulprofessor und Nachhal­tigkeitsmanager bei der Firma Dräxlmaier in einem gut besuchten Vortrag im G'sellnhaus deutlich. Das rasante Wachstum der Welt­bevölkerung ist der Grund, warum wir uns heute überhaupt Gedanken über Nachhaltigkeit machen müs­sen. Lebten 1950 noch rund 2,5 Mil­liarden Menschen auf der Erde, sind es heute bereits 7,2 Milliarden. Prognosen zufolge sollen es 2030 rund 8,5 Milliarden sein. Laut Bar­fuß ist es vor allem der Mittelstand, der für Ressourcenverbrauch und den Klimawandel verantwortlich ist. Mittelstand: Das waren im Jahr 2000 etwa 500 Millionen Menschen weltweit. 2030 werden es 1,2 Milli­arden sein", sagt Barfuß.

Deutschland hat Vorbildfunktion

Aber was genau ist denn nun Nachhaltigkeit? "Wenn Deutsche über Nachhaltigkeit reden, denken sie an Recycling, Bio, Fairtrade oder C02-Ausstoß", erklärt Barfuß. Fra­ge man hingegen Menschen in Nige­ria, würden sie eher über Essen oder Bildung sprechen. Es sei Luxus, sich Gedanken zur Nachhaltigkeit, wie wir sie verstehen, überhaupt ma­chen zu können. Und doch müsse man Nachhaltigkeit über Ressour­cen- und Umweltschonung definie­ren, sagt Barfuß. Es sei wichtig, in Europa und Deutschland als Vor­bild zu agieren, schließlich würden zahlreiche andere Staaten zu uns aufschauen. "Wir haben nämlich nicht das Recht, Schwellenländern zu verbieten, unseren Lebensstandard erreichen zu wollen. Also müssen wir eben vormachen, wie es richtig geht", Sagt Barfuß. Unbegrenztes Wachstum sei auf einem begrenzten Planeten nicht möglich. Wenn die Welt in der bisherigen Geschwindigkeit weiterwachse, seien Kriege um Ressourcen die unwei­gerliche Folge, so Barfuß. Zudem führt der Klimawandel nach Mei­nung des Dräxlmaier-Managers zu Problemen, an die die Wenigsten zu­nächst denken. "Europa ist geseg­net, was das Klima angeht", so Bar­fuß. Nicht Überschwemmungen oder Naturkatastrophen wären die unmittelbaren Folgen der Erder­wärmung für Europa. "Der Klima­wandel wird bei uns zuerst in Form von Migranten ankommen", sagt Barfuß. Menschen aus gefährdeten, vom Klimawandel stärker betroffe­nen Regionen wie etwa Nordafrika würden das Heil in der Flucht nach Europa suchen. "Dagegen war die Flüchtlingskrise 2015 nichts."

Effizienz und Technologie auf Dauer keine Lösung

Also wie kann man dem entgegensteuern? Laut Barfuß gibt es drei Denkansätze zur Nachhaltig­keit. Da wären zum Einen die Ver­treter der „Business-As-Usual" ­Methode. Das heißt: Weitermachen wie bisher, während die Technologie weiterentwickelt wird. "Also die vorhandenen Ressourcen aufbrau­chen und mit Methoden wie Fra­cking neue Rohstoffe fördern", sagt Barfuß. Letztendlich bedeute das aber den Planeten noch schneller noch intensiver auszubeuten- keine Lösung im eigentlichen Sinne. Als prominenten Vertreter dieses Denk­ansatzes nennt Barfuß die USA.
Ein anderes Modell sei die ökolo­gische Modernisierung. Bei diesem Ansatz soll immer weiter gesteiger­te Effizienz für Nachhaltigkeit sor­gen. "Grün ist gut, das ist gerade der Mainstream", sagt Barfuß. Er meint damit stromsparende Haus­haltsgeräte nutzen, grünen Strom beziehen, E-Autos fahren, weniger Fleisch essen oder regionale Pro­dukte kaufen. Also eigentlich Din­ge, über die eine breite Masse Nach­haltigkeit definiert. Ökologische Modernisierung sei auch Stand­punkt der Wirtschaft. "Audi sagt nicht, wir bauen keine Autos mehr, wir bauen einfach Elektro- und Hy­brid-Fahrzeuge", so Barfuß. "Alles bleibt, wie es ist, nur eben grün und bio", kommentiert Barfuß ironisch. Laut Barfuß ist auch dieser Ansatz wenig erfolgversprechend. Grund dafür seien sogenannte „Rebound­Effekte". Zwar seien beispielsweise einzel­ne moderne Haushaltsgeräte deut­lich energieeffizienter als noch vor einigen Jahren, doch besitze man heute deutlich mehr technische Ge­räte, wodurch der positive Effekt aufgehoben und der Ressourcenver­brauch trotzdem erhöht sei, erklärt Barfuß. ,,Es handelt sich um eine Scheinlösung und durch diese Vor­gehensweise verlangsamen wir den Ressourcenverbrauch nicht ein­mal", lautet das Fazit des Hoch­schulprofessors. Wenn also unaufhörlicher Wachs­tum der Grund für die Ressourcen­knappheit ist, dann muss eben das Wachstum aufhören. Das besagen Postwachstums-Theorien. Nur durch reduzierten Wohlstand sei Nachhaltigkeit möglich, sagt Bar­fuß. Als positive Beispiele, die zum Teil schon umgesetzt werden, nennt Barfuß Sharing-Konzepte wie Carsharing oder das Teilen von Werk­zeug. "Eine Bohrmaschine in der Schweiz läuft durchschnittliche­ zwei Minuten pro Jahr. Braucht wirklich jeder eine eigene, oder reicht vielleicht eine in der Nach­barschaft?", gibt Barfuß zu beden­ken. Er empfiehlt Bücher mit so klingenden Namen wie „Befreiung vom Überfluss" oder „Apocalypse No". Es geht laut Barfuß nicht um Technologie oder Effizienz alleine, man müsse das Thema Nachhaltig­keit noch grundsätzlicher angehen und über Werte nachdenken.
"Darf ich alles, was ich kann?", fragt Barfuß seine Zuhörer. Als Denkanstoß nennt er ein Angebot für einen "Christmas-Shopping­-Trip" nach New York. Fünf Tage im Big Apple verbringen und Weih­nachtsgeschenke einkaufen für 1300 Euro. Vier Tonnen CO2, würde alleine der Flug umgerechnet pro Kopf ausstoßen, erklärt Barfuß. Zum Vergleich: Jeder Deutsche ist durchschnittlich für zehn Tonnen jährlich verantwortlich. "Wir alle könnten uns das irgendwie leisten, aber dürfen wir das?", fragt Barfuß mit Blick auf Nachhaltigkeit.

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